Verkuppelt und verliebt?

Ich kann es nicht fassen! Gestern noch dachte ich – „Das Schicksal wird mir keine Chance auf eine Liebe mehr gewähren, als die für meine Familie!“ Und heute weiß ich, dass dem nicht so ist.

Gestern noch bin ich beinahe im Boden versunken, als meine Ex-Schwiegermutter eine völlig fremde jungen Frau zu mir zum Essen einlud, ohne mich zu fragen. Ich wusste, dass sie mich in meiner Abwesenheit auch noch über den grünen Klee loben würde, aber wer hat schon Kontrolle über seine Ex-Schwiegermutter? Oder anders gefragt: Womit hat man eine solche Ex-Schwiegermutter überhaupt verdient?

Damit nicht genug mischte sich gestern meine 15 jährige Tochter ein und fragte die junge Frau ganz unverhohlen: „Hast Du eigentlich einen Freund?“ Spätestens in diesem Moment hätte ich ahnen müssen, dass es längst zu spät für mich war: Ich war verraten und verkauft, ich war bereits verloren…

Und die junge Frau? Keine klassische Schönheit, aber markant und dennoch scheinbar zerbrechlich. Sie schaute mich so an und klimperte mit den Wimpern, offensichtlich durch die Lobgesänge beeindruckt. Und ich? Ich wollte im Boden versinken. „Das war nicht ich, von dem die Lobhudelei handelte! Ich bin voller Komplexe und Fehler!“

Einer dieser Blicke ließ mich nicht mehr los. Er sah auf den Grund meiner Seele und sie, die den Blick geworfen hatte, wand sich dennoch nicht ab. So schien es mir in diesem Moment.

Dann meinte sie: „Ich verliebe mich nicht mehr!“ – was meinen Widerspruchsgeist weckte. Noch schwieg ich, da es mir an Mut mangelte.

Und dann fädelte meine süße kleine Tochter viel zu geschickt ein, dass wir unsere Telefonnummern austauschten. Wieder waren diese Bemühungen für mich ein Grund zu bodenloser Scham. Dennoch notierte ich mir ihre Nummer genau.

Und später, in einem Anfall von ungeahntem Mut, schickte ich ihr eine SMS: „Hast Du Lust etwas trinken zu gehen?“ Und sie … stimmte zu!

Ich träumte von ihr. Und ich erinnerte mich an ihr Gesicht. Das war neu für mich. Es folgte mir, ohne mich zu verfolgen.

Am nächsten Abend – die Vorbereitung zog sich qualvoll lange hin. Als sie sich auch noch verspätete, hatte meine Furcht, mich zu blamieren, mich auf das Äußerste angespannt. Dennoch, und das war neu für mich, herrschte gleichzeitig ein freudig erregtes Kribbeln, eine Vorfreude, die ich lange nicht mehr gespürte habe. Und eigenartiger Weise war da auch eine Ruhe, die ich mit mangelndem Interesse fehlinterpretierte.

Als sie kam, war es sowohl leicht als auch schwer ins Gespräch zu kommen. Wir fuhren in das Cafe und zunächst parlierte wir auf Allgemeinplätzen. Dann dachte ich: „Du hast nichts zu verlieren!“ und sprach, mehr Scherz als Ernst, ihre Weigerung sich zu verlieben an.

Daraus entwickelte sich ein Gespräch, das ihre wie meine Seele entblößte und Dinge zu Tage brachte, die wir beide nicht erwartet hatten. Ich wusste, dass ihre Weigerung sich zu verlieben ins Schwanken geriet. Wir sahen uns in die Seele und spürten viel Ähnlichkeit und dennoch den Reiz der Unterschiedlichkeit. Wenig blieb ungesagt. Schonungslosigkeit ist besser als falsche Hoffnungen und es beruhigt das Gewissen keine Geheimnisse haben zu müssen.

Es wurde spät. Sehr spät. Wir wussten beide, dass es Zeit wurde. Und wir wussten, dass wir jene Grenze der Unverbindlichkeit in Worten längst überschritten hatten, die wir in unserer Physis nicht zu überwinden wagten. Und wie in einem schlechten Film war der Moment des Abschieds der Moment der Gewissheit, dass uns mehr verband als nur gute Worte. Viel zu rasch war er vorüber, der Moment gehauchter Sehnsucht.

Nun sitze ich verwundert hier und staune. Wie konnte das geschehen? Gestern noch war ich mir sicher, nun einsam alt zu werden und hatte mich mit meinem Schicksal fast schon abgefunden. Und nun? Habe ich mich verliebt? Kann man dies innerhalb von so wenigen Stunden? Gibt es diese „Liebe auf den ersten Blick“? Kann man „verkuppelt“ werden und zu seinem Glück stolpern, ja fast schon geschubst werden?

Gestern noch hätte ich gesagt: „Unmöglich!“ Und nun? Gab es das alles doch? Konnte es so etwas geben? Wie konnte so etwas geschehen? Wie konnte so etwas mir geschehen!

Ich glaube an das Schicksal. Dies ist ein Glaubensbekenntnis im besten Sinne des Wortes! Ich glaube, dass das Schicksal uns Aufgaben schenkt und gelegentlich Antworten anbietet. Oft ohne dass wir dies erkennen oder verstehen. Aber sie sind da. Dieses Schicksal durchdringt uns und bietet auf einer viel höheren Ebene Antworten, als wir sie erfassen können.

Manchmal, ganz selten nur, sind diese Aufgaben und Antworten so schön wie die Momente, die ich heute erleben durfte. Ein ganz klein wenig hat das Schicksal eine Ecke angehoben und hat mich ein wenig erhaschen lassen, was darunter liegt. Nicht dass ich es verstehen würde, aber es stimmt mich freudig und hoffnungsvoll.

Ich nähere mich einem anderen Wesen, das mir in all seiner Zerrissenheit Vertrauen schenkt und ich habe Vertrauen, dass all meine Unzulänglichkeiten bei all dem Erlebten keine Rolle mehr spielen. Vertrauen, das ist das alles entscheidende Stichwort. Dieses gottgegebene Vertrauen durchdringt mich und lässt mich voll Vorfreude der Dinge harren, die noch auf uns zukommen werden.

Habt Dank, liebe Ex-Schwiegermütter und Töchter, hab Dank Schicksal, hab Dank Du zauberhaftes Wesen. Habt ihr alle Dank.