Wie es mich freut, dass so viele, wenn auch nicht ganz alle, die sympathischen Erfolge der deutschen Fußball-Nationalmannschaft feiern und Fahnen schwenkend bejubeln. Seit dem Viertelfinale letzten Samstag hat die Inflation der Fahnen und Fahnen-Schwenker grandiose Ausmaße angenommen und der Autokorso, der nicht nur unsere Innenstadt lahmgelegt hat, war noch länger und nerviger als alle zuvor. Das aber sind die Auswüchse einer Entwicklung, die ich sehr begrüße: Immer mehr Menschen, auch Immigranten, identifizieren sich mit Deutschland – und sei es für den Moment und solange die deutsche Mannschaft Erfolg hat.
Am Samstag sah ich nach dem Spiel gegen Argentinien zahlreiche türkische Jugendliche fröhlich deutsche Fahnen schwenken und habe mir dabei gedacht, dass es doch beruhigend ist, dass wir das Trauma des 20. Jahrhunderts endlich so weit überwunden haben, dann sich Menschen national freuen können. Und dass Neudeutsche, sprich Türkisch- und Andersstämmige dabei gleichfalls freuen, ist ein wunderbarer Beitrag zur Integration. Am Montag dann sprach ich mit einer Freundin und berichtete ihr von meinen Beobachtungen und wie sehr ich mich darüber freue. Sie erzählte mir von einer russischen Jüdin, die inzwischen in Deutschland lebt, der dieses „deutsche Fahnen-Schwenken“ Angst machen würde. Für sie sei dies alles sehr bedrohlich und erinnere sie an die Vergangenheit.
Dürfen wir uns, mehr als 60 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs, nach Jahrzehnten des Fremdschämens, nicht zu einer nationalen Identität bekennen und feiern, wenn ein Anlass dazu besteht? Wird der Holocaust unsere Feierautonomie noch weitere Jahrzehnte begrenzen, uns Fahnen verbieten und uns das Jubeln im Hals stecken lassen?
1954 war der Sieg bei der Fußballweltmeisterschaft in der Schweiz der erste Schritt in ein sanft erwachendes nationales Bewusstsein. Das Fremdschämen hat jedoch jegliche überschwängliche nationale Jubelhandlung unterbunden. Und 56 Jahre danach freut sich ganz Deutschland, dass Jogis Jungs einen so tollen Fußball spielen.
Für die Integration ist das gemeinsame Feiern absolut unverzichtbar. Die gemeinsame Identität, die dabei entsteht, verbindet und baut Grenzen und gegenseitige Vorurteile ab, wie zahllose Beispiele zeigen. Nationalismus im Sinne von „Deutschland einig Vaterland“ oder „Deutschland über alles“ kann ich in all dem nicht entdecken – abgesehen von ein paar ewig Gestrigen, die aber zu solchen Zeiten noch viel weniger Gehör finden. Ganz anders, wenn weiter fremdgeschämt würde: Dann hätten diese Rechten die Chance auf die vermeintliche Unterdrückung Deutschlands hinweisen.
Nein, lasst uns, Deutsche und Neudeutsche, der deutschen Nationalmannschaft noch zwei Mal die Daumen drücken und gemeinsam feiern. Wenn Deutschland am Sonntag Weltmeister ist, dann hat der Fußball uns alle ein wenig näher gebracht. Die deutsche Mannschaft ist ein überaus passendes Vorbild mit ihrem Gemisch an Hautfarben und Herkunftsländern. In diesem Sinne: Als Weltmeister zu einem neuen Gemeinschaftsgefühl.