Zusammenfassung
Mann beim Einkaufen – ihm unbekannte Frau schnappt ihm einen Youghurt-Becher vor der Nase weg – Mann vermisst beide.
Hintergründe
Manche Kurzgeschichten sind fast wahr. So auch diese von 2002.
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Einfach Yoghurt
Das Telefon schwieg beharrlich. Immer wieder huschte Svens Blick zum Apparat. Er war doch richtig eingesteckt? Aber ja. Mit weichen Knien ließ sich Sven auf das Sofa sinken. Er sollte wieder einmal aufräumen. Welchen Eindruck sollte so eine Wohnung machen?
Aber im Augenblick fühlte er sich nicht dazu in der Lage. Er konnte nur einen einzigen Gedanken festhalten, alle anderen verflüchtigten sich, ehe sie sein Bewusstsein erreichten. Hatte es eben geklingelt? Ehe Sven sich ganz erhoben hatte, wurde ihm bewusst, dass er sich das Klingeln zum x-ten Mal eingebildet hatte. Nervös ließ er sich wieder auf das Sofa sinken.
Wie hatte das alles angefangen? Wie konnte es nur so weit kommen? Vor einer Woche war er, im alltäglichen Einerlei gefangen, im Discounter um die Ecke einkaufen gewesen. In solchen Momenten nahm er kaum etwas um sich herum wahr. Er PDFill PDF Editor with Free Writer and Tools konzentrierte sich darauf, was er brauchte. Die Menschen, das Treiben um ihn herum, erreichte ihn nicht. Als er nun vor den Yoghurt-Bechern stand und überlegte, ob er sich den billigen oder aber den sehr viel besseren, aber auch teureren kaufen sollte, als er im Geiste dabei war, seine Barschaft mit seinen Einkäufen in Zusammenhang zu bringen, griff jemand nach Seinem Erdbeer-Yoghurt! Seit Wochen gab es vom teueren nur den mit Himbeere. So oft Sven einkaufen war, hatte jemand aus den Paletten die Erdbeer-Yoghurt aussortiert und mitgenommen. Sven hatte das fast als persönlichen Angriff gesehen. Schließlich war Erdbeere viel besser, als Himbeere! Und genau heute, wo eine neue Lieferung noch nicht geplündert war, wollte jemand seinen Yoghurt stehlen! Ehe er sich entscheiden konnte, ob er ihn sich überhaupt leisten konnte!
Wütend folgte er der schlanken Hand und sah noch, wie eine junge Frau ihm wieder den Rücken zuwand. Dann griff sie abermals in das Regal, hob die Palette an und suchte nach weiteren Erdbeer-Yoghurt-Bechern. Sven öffnete den Mund, aber kein Laut kam über seine Lippen. Diese Dreistigkeit hatte ihm die Sprache verschlagen. Das also war diese Person, die ihm sein kleines Glück nicht gönnen wollte! Die Frau hatte inzwischen alle Paletten geplündert und zehn Becher in ihrem Wagen verstaut. Sven musste hilflos zusehen. In ihrem Wagen war auch nicht viel – außer dem Yoghurt. Eine Packung Leinsamenbrot, Butter, ein Pack Käse, ein bisschen Gemüse und zehn Erdbeer-Yoghurt, das war alles. Ehe die Frau verschwinden konnte, heftete sich Sven an ihre Fersen. Dass er dabei fast einige andere Kunden über den Haufen gefahren hätte, war ihm nicht bewusst. Was für eine Person plünderte seinen Lieblings-Yoghurt und machte sich dann aus dem Staub? Das durfte nicht sein! An der Kasse holte er sie wieder ein. Rasch wählte Sven eine andere Kasse, in der Hoffnung, vor ihr bezahlen zu können. Bislang hatte er ihr Gesicht nicht von vorne sehen können. Er wollte ihr vorwurfsvoll in die Augen blicken und vielleicht etwas sagen wie: „Sie Erdbeer-Yoghurt-Terroristin, sie!“
Aber sie waren in etwa gleichzeitig fertig und ihre Kasse lag näher am Ausgang. So musste Sven sich sputen, um sie zumindest auf den Parkplatz verfolgen zu können. Sie schob ihren Wagen über den Parkplatz und Sven folgte ihr. Sie hatte leicht gelocktes, dunkles, langes Haar. Ihre Kleidung war schlicht und viel zu warm für die Sommersonne, die an diesem Tag den Regen verscheucht hatte. Sie stoppte an einem ziemlich verrosteten, alten Fiat. Sven hielt ein wenig Abstand und beobachtete. Sie war noch ziemlich jung. Sie sah mitgenommen aus. Und traurig.
Viel zu schnell, für Svens Geschmack, hatte sie ihre paar Sachen in den Kofferraum geräumt und war gerade dabei, diesen wieder zu schließe, als Sven klar wurde, dass es an der Zeit war, etwas zu unternehmen. Er war immer noch wütend, weil sie ihm die Entscheidung für oder gegen den teuren Yoghurt abgenommen hatte, aber inzwischen schwang da noch etwas anderes mit. Neugier. Er wollte diese Frau kennenlernen.
Sie berührten sich fast, als die Frau mit dem leeren Einkaufswagen an ihm vorbeifuhr, um ihn zurückzugeben. Sie roch sehr gut. Rasch warf Sven seine drei Einkäufe in einen Beutel und folgte ihr. Aber als er ankam, hatte er immer noch keine Ahnung, was er sagen könnte. Sie hatte ihre Münze bereits wieder und wand sich zum Gehen. Für einen Augenblick berührten sich ihre Blicke und verharrten. Sven erkannte Neugier in ihren Augen. Aber auch eine Menge Schmerz, der ihr das Haupt beugte. Dann war dieser Augenblick vorüber und sie eilte zu ihrem Auto. Sven knallte den Einkaufswagen in die Reihe, aber so sehr er sich auch bemühte, der verdammte Münzmechanismus klemmte und hielt ihn auf. Als er endlich seine Münze wieder hatte, sah er, wie sie den Wagen startete, ausparkte und davonfuhr – mit seinem Erdbeer-Yoghurt.
In den darauf folgenden Tagen kam ihm diese Frau immer wieder in den Sinn. Er fragte sich, wer sie sein könnte. Warum sie seinen Yoghurt plünderte und überhaupt. Beim nächsten Besuch im Discounter hielt er nach ihr Ausschau. Nichts. Er fragte die Verkäuferin, wann die Yoghurts geliefert würde. Die Fachfrau sah ihn einen Moment lang irritiert an, meinte „Mittwoch.“ und widmete sich wieder dem Scanner ihrer Kasse.
Am Mittwoch, etwa um die gleiche Zeit ihrer ersten Begegnung, stand Sven vor dem Discounter. Er rang mit sich. Weshalb war diese Frau nur zu einer solch fixen Idee für ihn geworden? Am Kühlregal stellte er erleichtert fest, dass noch alle Erdbeer-Yoghurts in den Paletten waren. Sicherheitshalber plünderte er diesmal die Paletten. 15 Erdbeer-Yoghurts!
Zufrieden begann er durch die Gänge des Discounters zu kreisen. Irgendwann würde sie kommen, da war sich Sven sicher.
Nach der vierzigsten Runde wurde er von einer Mitarbeiterin des Hauses genauer in Augenschein genommen. Sie stellte ihn zur Rede. „Warum schleichen Sie hier immer im Kreis herum?“ Was sollte er antworten? „Wissen Sie, es ist wegen einer Frau, die ich letzte Woche hier gesehen habe …“ oder „Das geht Sie nichts an!“ oder „Ich bin in einer geheimen Erdbeer-Mission hier!“. Der Zufall wollte es, dass genau in diesem Moment die junge Frau den Laden betrat. Sven nuschelte irgend etwas und machte sich auf die Verfolgung. Die Mitarbeiterin schüttelte den Kopf und verfolgte ihn jedoch nur mit Blicken.
Die junge Frau erreichte das Kühlregal. Ungläubig durchwühlte sie die Paletten mit Yoghurt und sah geradezu verzweifelt aus. Sven stellte sich mit seinem Wagen neben sie. Er wusste nicht, wie er ein Gespräch beginnen sollte und so hatte er sich ausgedacht, dass sie ihn ansprechen würde, wenn sie die Yoghurts in seinem Wagen bemerken würde.
Die junge Frau sah hektisch nach allen Seiten, aber nicht in seinen Wagen. Sven gab sich einen Ruck und nahm einen Becher aus seinem Wagen, hielt ihn in ihre Richtung. Sie hätte ihn nicht übersehen können, aber sie tat es. Ihre Schultern sanken noch ein Stückchen weiter herab und mit einem Beutel Leinsamenbrot und etwas Käse im Wagen, wand sie sich zur Kasse.
Sven konnte es nicht fassen. Sein gut ausgearbeiteter Plan war gescheitert. Was sollte er nun tun? Rasch packte er den Yoghurt wieder in den Wagen und folgte ihr. Kurz vor der Kasse gelang es ihm, in einem waghalsigen Manöver, sie zu überholen und vor ihr an der Kasse zu stehen. Das war seine letzte Chance. Er packte die Yoghurts auf das Band und atmete durch. Nun musste sie ja die Becher sehen. Sie jedoch hatten den Kopf zu Bodengewandt und würdigte weder ihren Vordermann, noch das Band eines Blickes.
Die Kassiererin zog einen Becher über den Scanner, zählte die Becher, tippte 15 in die Kasse und meinte lakonisch zu Sven: „5,85“.
Sven griff nach seinem Portemonaie und erstarrte. Wie peinlich! Er hatte ihn in all der Aufregung zu Hause gelassen! „Tut mir leid, ähh … ich … ich hab meinen Geldbeutel vergessen!“ Nun spürte er den Blick der jungen Frau in seinem Rücken. Er wollte im Boden versinken. Die Kassiererin kaute gelangweilt auf einem Kaugummi herum und sah ihn ziemlich dämlich und wortlos an. „Ich kann schnell nach Hause … oder was soll ich …“
„Ich bezahle für ihn!“ ertönte eine erstaunlich sanfte Stimme hinter ihm. Sven drehte sich um. Die junge Frau stand direkt hinter ihm und fixierte ihn neugierig. „Aber das kann ich doch nicht …“ „Vielleicht einigen wir uns über den Yoghurt!“ meinte sie, und streckte der Kassiererin einen Schein entgegen. Diese, froh nicht weiter über den Vorfall nachdenkenzu müssen, klimperte ein wenig herum und gab der jungen Frau das Rausgeld. Sven packte zögernd die Yoghurt in den Wagen. Dann wartete er, bis die junge Frau ihren eigenen Einkauf bezahlt hatte. Schweigen verließen sie nebeneinander den Laden.
Draußen stammelte Sven „Danke…“ Ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Das kann jedem mal passieren!“ Mit dem Lächeln sah sie richtig hübsch aus, schoss Sven durch den Kopf. „Wie … wie machen wir das mit dem Geld?“ Sven wusste immer noch nicht, was er jetzt tun sollte. Er hatte ja mit allem gerechnet, aber nicht damit.
„Kein Problem, Sie geben mir ein paar Yoghurts und ihre Telefonnummer. Wir treffen uns heute Abend und Sie können mir das Geld wiedergeben. Ist das ein Vorschlag?“
Sven war sprachlos. Sollte er ihr lieber alle Yoghurts geben? Oder besser auf den Vorschlag eingehen. Es war so verführerisch, darauf einzugehen, dass er zweifelte, dass es so einfach sein konnte. „Ähhh, … hmmm, also gut, … Wie viele wollen Sie denn?“
Wieder dieses huschende Lächeln. „Wie wäre es, wenn wir Halbe-Halbe machen? Sie acht, weil Sie zuerst hier waren, und ich sieben?“
Wortlos packte Sven acht Yoghurts in ihren Wagen. Dann stammelte er „Sie haben mir geholfen!“
„Also gut. Und wie ist nun Ihre Telefonnummer?“ Sven kramte in seinen Taschen und zückte schließlich eine selbstgebastelte Visitenkarte. „Hier steht sie drauf.“
„Also gut, ich rufe sie heute Mittag an, in Ordnung?“
„In Ordnung… und Danke!“ Sie nickte nur. Sven sah ihr nach, wie sie, ein wenig beschwingt, zu ihrem Auto fuhr.
Und nun saß er auf dem Sofa, das Telefon fest fixiert. Aber das verdammte Ding wollte nicht klingeln. Von seinen sieben Yoghurts war inzwischen keiner mehr übrig. In seiner Nervosität hatte er sie, einen nach dem anderen, in sich hinein geschlungen.
Riiing … Riiing! Sven hechtete zum Telefon. „Ja bitte?“ „Guten Tag!“ eine Frauenstimme, „Ich rufen an, weil wir eine Umfrage zum Thema…“ „Interessiert mich nicht!“ Sven knallte den Hörer auf die Gabel.
Kaum hatte er sich resignierend auf das Sofa sinken lassen, da schrillte das Telefon abermals. „Ja Bitte?“ „Wir wurden eben leider unterbrochen! Ich wollte ihnen nur ein paar Fragen stellen…“ „Nein, kein Interesse!“ fauchte Sven ins Telefon und warf wütend den Hörer auf die Gabel. Doch ehe er wieder Platz nehmen konnte, schrillte das Telefon zum dritten Mal. „Hören Sie zu, ich habe kein Interesse! Ist das jetzt, ein für alle Mal klar?“
Schweigen. Leicht verunsichert, fragte Sven nach „Hallo, haben Sie mich verstanden?“
Schweigen. Dann ein Seufzen. Sven wollte schon den Hörer ein drittes Mal auf die Gabel knallen, als ihm ein entsetzlicher Gedanken durch das Hirn schoss. „Sie sind doch von diesem Meinungsforschungs-Dingsbums? Oder?“ Schweigen.
Dann aber ein zögerndes „Eigentlich nicht…“ fieberhaft überlegte Sven, wie er das wieder gut machen konnte.
„Verzeihung! Ich dachte, … ich meine … ich wurde … Da hat so eine Tante eine Umfrage machen wollen und ich wollte nicht … und sie hat immer wieder … aber ist ja auch egal, ich habe nicht Sie gemeint! Das müssen Sie mir glauben!“
Schweigen. „Hallo, sind Sie noch da?“ „Ja, ich bin noch da.“ „Tut mir wirklich leid!“ „Schon gut. Ich wollte nur fragen, wann und wo wir uns treffen sollen ….“
Diesen Punkt hatte sich Sven in mühevoller Kleinarbeit zurechtgelegt. „Wie wäre es im Café am Tor? So gegen Acht?“ „Gut, um Acht im Café am Tor.“ Dann wieder Schweigen.
Sven räusperte sich. „Gut, dann bis heute Abend. … Ich freue mich! … Und danke noch einmal! … Für heute Mittag!“ „Schon gut. Bis heute Abend dann.“ „Tschüss…“ Es knackte in der Leitung und ein Tüt-tüüt erklang. Nach dem zwanzigsten Tüt-tüüt legte Sven wie betäubt auf. Heute Abend also.
Einmal runderneuert betrat Sven das Café um viertel vor Acht. Die Nervosität ließ sich am ehesten bekämpfen, wenn man beobachtend in einer Ecke wartete. Die Zeitschrift in seiner Hand hätte ebenso gut auf dem Kopf stehen können, denn er bemerkte den Inhalt gar nicht. Mechanisch blätterte er in den Seiten, den Blick über die Kante hinweg auf den Eingang des Cafés gerichtet. Zehn nach Acht und niemand in Sicht, der ihr auch nur annähernd geähnelt hätte.
Zwanzig nach Acht. So langsam war Svens Mut gesunken. Vielleicht hatte sie ja überraschend etwas Besseres vor. In seiner Verzweiflung las er einige Zeilen in seiner Zeitschrift. „Was Frauen an Männern interessiert“ stand da. „Die moderne Frau sucht den verständnisvollen, starken und eleganten Mann, der ihre Träume verwirklicht. Gut aussehend, mit gestählten Muskeln und finanziell unabhängig läßt dieser Mann der Frau die Selbstbestimmung über ihr Leben. Er bemerkt, wenn sie vom Friseur kommt und eine neue Frisur hat ebenso, wie er jeden Jahrestag im Kopf hat. Aber er weiß auch, wann er den Rat seiner Partnerin folgen sollte! Nur wenn er die Frau auf Händen trägt, sie befreit von den Zwängen des Alltags, also zum Beispiel das Geschirr spült und den Mülleimer freiwillig runter bringt, dann ist er der Richtige! Solche Männer braucht das Land und die Frauen darin! Und wenn Sie nur genau hinsehen, dann werden auch Sie Ihren Taummann finden!“ Was für ein Bullshit! Und Frauen lesen so etwas? Glauben sie etwa auch. Da wundert es nicht, wenn Beziehungen heutzutage nicht mehr funktionieren.
Ein Prickeln wehte über Svens Rücken. Erschreckt schaute er auf. Sie war gekommen!
Saß bereits an seinem Tisch und musterte ihn aus ihren schier endlos tiefen, braunen Augen.
„Hallo!“ Sven saß mit offenem Mund da, zu keiner Entgegnung fähig. „Da bin ich also!“ Sie lächelte ein wenig verkrampft.
„Ähh … Hallo! Freut mich!“ „Hast Du, … wir können uns doch Duzen, oder?“ Sven nickte.
„Hast Du lange auf mich warten müssen?“ Sven schüttelte den Kopf. Ihm fehlten einfach die Worte.
„Ich bin Eva.“ Sie streckt ihm die Hand hin und lächelt, dass er zerfließen könnte.
„Ich bin Sven. Freut mich wirklich …“
Sie winkte der Bedienung. „Einen Milchkaffee hätte ich gerne.“
Dann wand sie sich wieder Sven zu, der verzweifelt versuchte die Frauenzeitschrift verschwinden zu lassen. „Was machst Du denn so, wenn Du nicht gerade Erdbeer-Yoghurts einkaufst?“ Klever wäre jetzt gewesen „Himbeer-Yoghurt kauften!“ zu antworten, aber so schlagfertig war Sven nicht. „Hmmm, ich bin selbständig…“ Schweigen.
„Was genau machst Du denn?“ Schweigen. „Rechner reparieren…“ „Interessant! … Kann man davon leben?“ „Es geht so.“ „Und wessen Rechner reparierst Du?“ Sven fühlte sich sehr unwohl in seiner Haut. Er lebte mehr Schlecht als Recht davon, dass er die Computer von Freunden und Bekannten in Ordnung brachte. Das als besondere Leistung zu betrachten, kam ihm nicht in den Sinn. Er hatte nur nichts Besseres zu tun und von irgend etwas musste man schließlich leben. Als Eva ihn nun fragte, zog seine ganze Misere an seinem inneren Auge vorbei.
„Sag schon!“ drängelte sie. „Ach für die unterschiedlichsten Leute. Privatleute und Firmen und so…“ „Dann bist Du also ein richtige Computer-Profi?“ „Kann man so sagen.“ Damit sie das Thema nicht vertiefte, meinte er „Und Du?“
Der Milchkaffee kam und gab Sven ein wenig Zeit, sie noch einmal genauer zu betrachten.
Sie hatte feine Gesichtszüge. Ihre Augen waren wie tiefe Seen, die die Welt um sie herum verschlangen. Gleichzeitig war da eine Distanziertheit, die so gar nicht zu diesem Wissensdurst in den Augen passen wollte. Sie war nicht sehr groß, aber auch nicht klein, eben gerade richtig, für Svens Geschmack. Heute war sie auch geradezu keck angezogen. Ein knappes Shirt, das den Bauch frei ließ und eine enge Jeans. Die langen, dunklen Haare hatte sie sich zu einem Knoten gebunden, der ihrem Aussehen eine gewisse Strenge verlieh. Sie war jünger, als er gedacht hatte – viel jünger, das wurde ihm nun bewusst.
„Ich mach eine Ausbildung zur Groß- und Einzelhandelskauffrau!“ Sven musste einen Augenblick nachdenken. Ihre Worte hatten ihn aus seinen Gedanken gerissen.
„Aha“ meinte er lahm. „Aber eigentlich will ich was Anderes machen. So ein Bürojob ist schrecklich langweilig.“ Das konnte Sven verstehen. Auch er hasste die Büroarbeit und war immer froh, wenn er zu einem Kunden fahren konnte. „Was denn?“
„Mit Kindern, oder so. Weißt Du, ich habe zwei Nichten und einen Neffen. Auf die passe ich ab und zu auf. Das macht richtig Spaß!“ „Und warum machst Du dann Deine Lehre weiter? Ich meine, dann solltest Du doch besser Kindergärtnerin lernen, oder?“
„Meine Eltern meinen, ich soll erst einmal meine Ausbildung zu Ende machen, dann kann ich es mir ja immer noch überlegen.“ „Ist das nicht eher Dein Problem? Ich meine, musst nicht Du das entscheiden?“ „Vielleicht haben sie ja Recht. Nachher gefällt es mir in einem Kindergarten ja auch nicht? Wer weiß?“
Sie sahen sich eine Weile schweigend an. Das Thema war abgehakt und irgendwie schien ein Neues nicht in Sicht. Halbherzig wagte Sven einen Versuch.
„Bist Du öfters hier?“ „Eigentlich nicht. Ich meine, ich war schon mal hier, aber normalerweise gehe ich in andere Kneipen. Und Du?“ „Ab und zu…“
Wieder diese lastende Stille.
Sven hätte es im Augenblick ohnehin genügt, sie anzusehen. Aber das konnte er ihr nicht sagen. Sie starrte gedankenverloren auf den Kaffee, in dem sie rührte. Sven fragte sich, weshalb er hier war, abgesehen davon, dass er ihr noch sieben Yoghurts schuldete. Was hatte ihn dazu getrieben, ihr im Laden aufzulauern? Und sich anschließend lächerlich zu machen? Was hatte ihn nur dazu geritten? Er folgt dem Profil ihres Gesichtes nach unten.
Sie war hübsch, ja fast schön. Sie anzusehen ließ kleine Stromstöße durch seinen Köper rasen. Er fühlte sich angezogen und aufgeregt.
Seit zwei Jahren war er nun Single und hatte längst begriffen, dass dies kein so wünschenswerter Zustand war, wie manche Zeitungen es immer darstellten. Aber er hatte auch keine Lust gehabt, sich umzuschauen. Seine letzte Beziehung war in die Brüche gegangen, ohne dass er es zunächst gemerkt hätte. Plötzlich war sie vor ihm gestanden und hatte gemeint: „Ich verlasse Dich.“ Einfach so, ohne weitere Begründung. Sie waren glücklich gewesen, zumindest hatte er das immer geglaubt. Gut, sie wollte ein Kind, das wollte er noch nicht, aber das konnte ja wohl kaum der Grund sein, oder? Er hatte immer darauf geachtet, dass sie im Bett auf ihre Kosten kam, auch wenn er dadurch zu kurz kam.
Er hatte ihr mindestens zwei Mal im Jahr Blumen gebracht. Nicht gerade zum Jahrestag, aber immerhin zwei Tage danach, als er durch eine Bemerkung von ihr darauf aufmerksam wurde. Und das andere Mal, als er von einem Kundentermin zu spät nach Hause kam. Er hatte völlig vergessen, dass sie ins Theater hatten gehen wollten.
Aber ein Kind – er verdiente einfach nicht genug, um sich eines leisten zu können. Das hatte sie doch verstehen müssen.
Trotzdem war sie einfach gegangen. Und Sven hatte die Welt nicht mehr verstanden. Sicher hatten sie auch Ärger miteinander gehabt. Sie hatte ihn angeschrieen und er war ruhig geblieben. Hatte er nicht alles getan, um die Streitereien zu beenden? Hatte nicht er immer und immer wieder die Versöhnung angeboten? Und war sie nicht immer wieder zu ihm zurück gekommen? Bis auf jenen Abend, als sie lakonisch meinte „Ich verlasse Dich.“
Einfach so. Als er am nächsten Tag von einem Termin kam, waren ihre Sachen und sie verschwunden. Wie ausradiert. Zwei Jahre hat es gedauert und zwei Jahre war das nun schon wieder her.
Nun saß er mit einer Frau in einem Café und war von einem Kitzel irritiert, den er vergessen hatte. Der Reiz des anderen Geschlechts.
Eva strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. Aber das widerstrebende Haar wollte nicht hinter dem Ohr verweilen und strich abermals über ihre Wange. Plötzlich wand sie sich ihm zu. „Ich habe Dich beobachtet, weißt Du.“
Wie beobachtet? Was meinte sie?
„Im Supermarkt. Du warst oft schon da. Ich sah Dich und folgte Dir.“
Wie, er war doch ihr gefolgt, oder? Sie schien seine Verwirrung zu bemerken. Sie lachte.
„Schon vor Wochen. Du hast immer den Erdbeer-Yoghurt gekauft. Und um Dich herum nichts bemerkt.“
Aber … Sie .. nein er, … Sven war sehr verwirrt.
„Ich habe dann angefangen, den Erdbeer-Yoghurt aufzukaufen, ehe Du kamst. Inzwischen mag ich ihn auch.“
Das konnte doch nicht sein… Plötzlich hatte er so ein warmes
Ein wenig verkniffen grinste er sie an. Sie grinste keck zurück.
Das konnte noch ein interessanter Abend werden.
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Für Judith
Stefan Laszczyk, 20 Juli 2002