Quelle Kopfbild : Wikipedia
Wie es ist, Hartz IV beantragen zu müssen
Wie das Leben so spielt, kommen neben den guten auch gelegentlich die schlechten Tage. Und dann, wenn es schon regnet, kommt man vom Regen auch noch in die Traufe.
Als ich vor einigen Jahren, bevor es angefangen hat zu regnen, fest angestellt in einer Firma, mir nichts Böses dachte, konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich heute und hier aus der sozialen Hängematte falle.
Vor fast drei Jahren wurde ich krank. Die Krankheit hat sich hingezogen und derweil ich versuchte gesund zu werden, ging die Firma, für die ich zu der Zeit arbeitete, in Konkurs. Aber ich hatte ja meine Krankenversicherung und das daraus resultierende Krankengeld. Im Frühjahr 2018 endete die Krankengeldzahlung und ich wurde ausgesteuert. Danach erhielt ich Arbeitslosengeld 1, war weiter krankgeschrieben und nun, anderthalb Jahre danach, bin ich gesund, aber der Bezug endet und ich war gezwungen, zum Jobcenter zu gehen, da ich noch keinen neuen Job in den wenigen Wochen finden konnte.
Pforzheim ist eine Modellkommune, in der das Jobcenter alleine von der Stadt betrieben wird. Ich habe gewusst, das Hartz IV hohe Anforderungen an den stellt, der es beziehen möchte. Was ich nicht ahnte war, wie man behandelt wird.
Wie ist der Name? … Sind sie in einer Beziehung? … Was verdient ihre Partnerin? … Dann bekommen sie eh nichts!
Nach dem vierten Satz die kalte Dusche. Und nicht die letzte.
Wie groß ist ihre Wohnung? … So groß? Das können Sie vergessen!
Erstaunlicherweise hat die Sachbearbeiterin dennoch weitere Fragen und mir anschließend eine sehr umfassende Liste an Unterlagen, die ich zu beschaffen habe, zur Verfügung gestellt. Und diese haben es in sich! Vermögensaufstellung, Kontoauszüge, Versicherungen, Grundbuchauszüge, Ausweise, und so weiter… Nicht nur für mich, nein, auch für und von meiner Partnerin. Diese ist sicher nicht sehr erfreut.
Es ist das Eine, zu hören, dass Menschen Sozialhilfe beziehen müssen. Da sagt es sich leicht: “Aber die dürfen nicht einfach so Geld bekommen! Die müssen erst einmal beweisen, dass sie es wirklich nötig haben!”
Einfach so… Ich möchte denjenigen erleben, der sich nach einem Gespräch im Jobcenter nicht verzweifelt an den Kopf langt.
Nun bin ich ein gestandener, selbstbewusster und streitbare Mensch. Stelle ich mir jedoch ein altes Mütterlein vor, das mit seiner Rente nicht zurechtkommt, dann will ich nicht wissen, wie eine solche Person sich fühlt, wenn sie derart behandelt wird. Wertschätzung oder Einfühlungsvermögen sind Fremdworte.
Und was ist mit den Alleinerziehenden, den Langzeitarbeitslosen, mit Menschen, die kein oder nur schlecht Deutsch sprechen, also dem Prekariat der Gesellschaft, zu dem ich nun wohl ebenfalls gehöre? Sind das nicht genau diejenigen, die einen besonderen Schutz und besondere Rücksicht benötigen? Sind wir nicht eine soziale Marktwirtschaft?
Während meine Befragung klopfte es an der Türe und die zweite Sachbearbeiterin, die den Raum benutzt, ging hin und fragte, was los sei. Eine Frau fragte in gebrochenem Deutsch etwas und die Sachbearbeiterin antwortete in einem höchst unfreundlich abweisenden, geradezu verachtenden Ton: “Es gibt in Deutschland nun mal eine Bearbeitungszeit! … 14 Tage Be-ar-bei-tungs-zeit, sie verstehen?” Natürlich verstand die Frau nicht, was gemeint war. Deshalb wiederholte die Sachbearbeiterin immer wieder: „Bearbeitungszeit!”
Was, wenn diese Frau nichts mehr zum Essen hatte und nun verzweifelt um Hilfe bat?
Es hat wirklich nicht viel gefehlt und ich wäre hinausgegangen und hätte der Sachbearbeiterin gesagt, dass sie so nicht mit Menschen umgehen kann. Ehrlich gesagt, meine Sorge galt in dem Moment meinem eigenen Antrag, den ich nicht gefährden wollte. Ich habe nichts unternommen und das belastet mich jetzt.
Es ist wie bei kleine Tiere in einem Eimer, sie versuchen am Rand des Eimers hinaufzukommen, sie klettern, ohne aufeinander zu achten übereinander und stürzen doch alle zurück zum Grund.
Ich weiß, es gibt Menschen, und auch Antragsteller sind Menschen, die sich unmöglich benehmen. Ich kann nicht ausschließen, dass jene Frau, die geklopft hat, sich vorher schon unmöglich benommen hat. Aber wenn ich höre, wie meine Sachbearbeiterin mich behandelt und dann, wie jene Sachbearbeiterin die Frau an der Tür abfertigte, dann bezweifle ich, dass das der einzige Grund sein kann. Vielmehr scheint mir, dass hier eine sehr unselige Entwicklung stattfindet. Der Ton ist nicht mehr rau, sondern absichtlich verletzend und abweisend.
Es entsteht der Eindruck, dass die Sachbearbeiter vorwiegend die Aufgabe haben, die Kosten im Rahmen zu halten und möglichst viele Antragsteller an einer erfolgreichen Antragstellung zu hindern. Und der Druck steigt! Auch das Verzögern von Auszahlungen ist mit Sicherheit ein probates Mittel, um Kosten zu senken. Das alles geht zulasten der Menschlichkeit.
Um jedes Missverständnis zu vermeiden, was ich erlebt habe ist mit Sicherheit nicht die Spitze eines Eisberges, dafür liest man allenthalben zu oft, wie sich Hartz IV auswirkt und wie sich das Jobcenter verhält. Nein, es ist die Gleichgültigkeit eines Systems, der Mehrheit, die wegsieht und billigt, dass Menschen am unteren Rand unseres Sozialsystems weiter abrutschen, beziehungsweise unten gehalten werden. Das Schlimmste ist, dass man es erst bewusst begreift, wenn man selbst dort unten angekommen ist.
Die Anhänger populistischer Parteien mögen ja ein solches Verhalten, wie das der Sachbearbeiterinnen, begrüßen. Ich wünsche aber jedem von ihnen, dass er selbst einmal in diese Situation kommt. Ich bin mir sicher, dass er seine Meinung ändern wird.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.